Definition nach ICD-10
Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
F98.1 Nichtorganische Enkopresis:
Wiederholtes willkürliches oder unwillkürliches Absetzen von Faeces normaler oder fast normaler Konsistenz an Stellen, die im soziokulturellen Umfeld des Betroffenen nicht dafür vorgesehen sind.
Die Störung kann eine abnorme Verlängerung der normalen infantilen Inkontinenz darstellen oder einen Kontinenzverlust nach bereits vorhandener Darmkontrolle, oder es kann sich um ein absichtliches Absetzen von Stuhl an dafür nicht vorgesehenen Stellen trotz normaler physiologischer Darmkontrolle handeln.
Das Zustandsbild kann als monosymptomatische Störung auftreten oder als Teil einer umfassenderen Störung, besonders einer emotionalen Störung (F93.-) oder einer Störung des Sozialverhaltens (F91.-).
Vorbedingungen
l Ausgeschlossen werden muss erstmal eine rein organisch bedingte Darmerkrankung (bei 80%) (z.B. Obstipation (Verstopfung), Diarrhöe (Durchfall), etc.).
l Das Kind muss über die körperliche und psychische Reife verfügen, seinen Darm willentlich kontrollieren zu können. (keine geistige/körperliche Behinderung etc.)
l Das Verhalten muss vom Betroffenen und/oder dessen Umfeld als abnorm und als belastend empfunden werden.
l Alter mindestens 4 Jahre
l mindestens 1-mal im Monat für die Dauer von 3 Monaten
Symptome
l Absetzen von Kot an dafür nicht vorgesehenen Stellen (Windel; Zimmer; Öffentlichkeit)
l Verschmieren von Kot
l Kotessen
l Verstecken der verschmutzten Wäsche bzw. des Kotes
l Stuhlverhaltung (Stuhlverweigerung)
l Widerstand gegen Toilettentraining
Schweregrade
l Abhängig von Häufigkeit und Kotmenge
l Leicht:
l Frequenz des Einkotens zwischen 1- und 4-mal pro Monat
l Mittel:
l Frequenz des Einkotens zwischen 2- und 6-mal pro Woche
l Schwer:
l mindestens tägliches Einkoten.
Einzelne Formen
l Das Einkoten kommt über einen Zeitraum von 3 Monaten mind. 1x im Monat vor.
l Primäres Einkoten:
betrifft Kinder über 4 Jahre, die nie gelernt haben, ihren Stuhlgang zu beherrschen.
l Sekundäres Einkoten:
betrifft Kinder, die schon mind. 6 Monate sauber waren und danach wieder einkoten.
Subformen:
l mit und ohne Obstipation (Verstopfung)
l mit und ohne psychische Begleitstörungen
l mit Enuresis
l Im Gegensatz zur Enuresis kommt das Einkoten hauptsächlich tagsüber vor und selten nachts.
Verbreitung
l Diagnostiziert wird Enkopresis erst ab dem Alter von 4 Jahren.
l 3% aller 4-jährigen Kinder
l 1,5% aller 8-10-jährigen Kinder
l Weniger als 1% aller 11-jährigen Kinder
l Ab 16 Jahren und bei Erwachsenen nur sehr selten.
l Sekundäre Enkopresis am häufigsten zwischen dem 7. und 10. Lebensjahr
l Jungen sind bis zu 3x häufiger betroffen als Mädchen.
l 25% der Enkopretiker haben gleichzeitig auch Enuresis.
l Nur in ca. 20% der Fälle lässt sich Stuhlinkontinenz auf psychische Probleme zurückführen. (Meistens ist das Einkoten eine Folge von rein körperlich bedingter Überlaufobstipation.)
Ursachen
l Emotionale Konflikte
l Krisen in der Familie
(gestörtes Eltern-Kind-Verhältnis, Geschwisterrivalität)
l Veränderungen im Lebensumfeld
(z.B.: Tod einer Bezugsperson, Umzug, Geburt eines Geschwisterchens, Krankenhausaufenthalt, Schulwechsel, Scheidung)
l Überforderung und Leistungsdruck (z.B.: Teilleistungsstörungen)
l Misshandlung und Verwahrlosung
l Sexueller Missbrauch
l ADHS
(unzureichende Wahrnehmung des Füllungsdrucks im Rektum)
l emotionale Störungen (Phobien, Trennungsängste)
l Zwangsstörungen (Angst vor der Toilette)
l Traumatische (Stuhlgangs-)Erlebnisse
(schmerzhafter Stuhlgang; zu strenge Sauberkeitserziehung; Einläufe; Obstipation)
Weitere Risiko-Faktoren
l Der positive/negative Verlauf der Sauberkeitserziehung (Toilettentraining) spielt eine große Rolle (unsichere und inkonsequente Eltern haben oft Probleme)
l Forciertes und strafendes Training kann das Kind dazu bringen, den Stuhl zurückzuhalten und eine Überlaufenkopresis zu entwickeln. (Stuhlverhaltung)
l Psychiatrische Störungen insbesondere der Eltern (Zwangsstörungen, substanzbedingte Störungen, schizophrene Psychosen)
l Ungünstige Wohnverhältnisse (Erreichbarkeit der Toilette, kindgerechte Toilette, ausreichende Beleuchtung und Heizung).
l Genetische Faktoren: Beim Einkoten mit Verstopfung liegt eine geringe erbliche Neigung vor
Komorbidität
Psychiatrische Komorbidität und Begleitstörungen:
l 30-50% aller Kinder haben zusätzliche, zum Teil schwer ausgeprägte psychische Begleitstörungen.
l In 25% der Fälle tritt neben der Enkopresis auch eine Enuresis auf.
l Kinder mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) können ein erhöhtes Risiko für Enkopresis aufweisen
l Angst vor der Toilette bei schizophrenen Psychosen
l Bei Zwangsstörungen kann es zum Zurückhalten des Stuhls (Stuhlverhaltung) und Kotschmieren wegen Ansteckungsängsten auf der Toilette kommen
l Gehäuft Störungen des Sozialverhaltens mit oppositionellem Verhalten.
l Obstipation (Verstopfung) aufgrund von Stuhlverhaltung
Diagnose
l Allgemeine Anamnese:
körperliche, psychische und soziale Ursachen
bisherige Vorbehandlungen und Bewältigungsversuche des Kindes und der Familie
l Ausschluss von rein körperlichen Ursachen!
l Körperliche Untersuchung:
Proktologische Untersuchung
Endoskopie des Dickdarms
Röntgenuntersuchung des Enddarmes (Defäkographie)
Computertomographie der Schließmuskeln
Stuhluntersuchung auf verstecktes Blut
Ultraschall
Verstopfung?
l Schweregrad und genaue Form:
Schwankungen in der Häufigkeit des Auftretens
Enkopresis-Fragebogen; Fragebögen zum Verhalten
Toilettenprotokolle
Ausschlußdiagnose
Ausschließlich körperliche Ursachen:
l Darmkrankheiten
(Megacolon congenitum; Spina bifida)
l Zu geringe Kneiffähigkeit des analen Verschlussapparates (Muskeln sowie der Haltedauer)
l Nervenschäden
l Verletzungen der Schließmuskulatur und der Beckenbodenmuskeln
l Schlechte Stuhlhaltefähigkeit und Entleerungsverhalten
Andere Ursachen
Psychische Störungen:
l Geistige Behinderung
l Zwangsstörung
l ADHS
l (Toiletten-)Phobien
l Akute Belastungsreaktion (Trauma/Stress)
l Schizophrene Psychose
Diagnoseverfahren
Familie:
l Elternfragebögen zum Einkoten
l Erhebung zur Einstellung der Eltern zum Einkoten
l Entwicklungs- und lebensgeschichtliche Untersuchungen mit den Eltern und dem Kind
l Interaktions- und Familiendiagnostik
Kind:
l Intelligenzdiagnostik
l Teilleistungsdiagnostik (LRS; Dyskalkulie)
l Persönlichkeitsdiagnostik
l logopädische oder ergotherapeutische Begutachtung
Therapie
l 1. Ansprechpartner ist meistens der Kinderarzt, der bei günstigen Bedingungen die Therapie ambulant mit Hilfe von Kinderpsychiatern und -therapeuten durchführt.
l Aufklärung und Beratung der Familie (Tabuthema)
l Kombination von medizinischen, verhaltens- und psychotherapeutischen Maßnahmen
l Ambulant
(unterstützendes familiäres Umfeld, kurze Wege, Eigenmotivation des Patienten)
l Stationär
(bei schweren Fällen, Komorbidität, unkooperatives Elternhaus, zu lange Wege zur Klinik)
Verhaltenstherapie
l Toilettentraining mit Kind und Eltern (Entwickelung eines Toilettenrituals nach dem Essen)
l Vermittlung von adäquatem Lösungsverhalten bei Konflikten
l positive Verstärkung
l Belohnungskalender
l Kritik und Strafe unterlassen
l Umstellung des Speiseplans und vermehrte Flüssigkeitsaufnahme (bei Obstipation)
Psychotherapie
Kind:
l Einzelpsychotherapie (Emotionale Konflikte)
l Behandlung von psychosozialen Begleitstörungen
l Bewusstmachen von gehemmt-aggressiven Impulsen
l Spieltherapie
l Psychosoziales Management
Familie:
l Entspannung der Eltern-Kind-Beziehung
l gezielte familientherapeutische Maßnahmen
Medizinische Therapie
l Beckenbodengymnastik
l Perzeptionstraining und Koordinationsübungen für bessere Darmkontrolle und Reizwahrnehmung
l Psychopharmaka
l Antidepressiva (Thymoleptika)
Bei Obstipation abführende Maßnahmen:
l Ballaststoffreiche Ernährung
l Stuhlaufweichende Medikamente
l ev. Einläufe
l ev. Biofeedback
l Physiotherapie
Prognose
l 15% der Kinder sind nach 6 Wochen Therapie sauber
l Therapieerfolg bei bis zu 76%
l Spätestens im Erwachsenenalter ist das Einkoten überwunden;
es sei denn die Enkopresis ist nur Teil schwerwiegender anderer psychischer Probleme (siehe Komorbidität)
l Nach spätestens 5 Monaten erfolgloser ambulanter Therapie wird zu (teil-) stationärer Therapie geraten
l Therapiedauer bei schweren Fällen bis zu 7 Jahren, trotz intensiver Therapie
l ungünstiger Verlauf bei Obstipation und hyperkinetischen Störungen (ADHS)
l Bei Mädchen ist Therapie erfolgreicher
Quellen
Bärbel Zippel: Sauberkeitsprobleme bei Kleinkindern. Stuttgart 1991.
Cora Neuhaus, Corona Schmid: Nur eine Phase?. München 2001.
http://www.uni-duisburg.de/FB2/PS/PER/vonSydow/SS2003/v-kakli07-bindungsst_enuresis_enkopresis.pdf (Abgerufen 03. Februar 2008)
www.fh-bielefeld.de/filemanager/download/4519/Enkopresis.pdf (Abgerufen 03. Februar 2008) http://www.kinderpsychologie.info/publikationen/vortraege/klinischepsychologie29_10_07.pdf (Abgerufen 03. Februar 2008)
http://www.uniklinikum-saarland.de/mediadb/Uniklinik_Homburg/Aktuelles/ukhreport/Medizinlexikon/I_2006_1.pdf (Abgerufen 03. Februar 2008)
http://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/htmlgm2008/fr-icd.htm (Abgerufen 03. Februar 2008)
http://www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ll/028-027.htm (Abgerufen 03. Februar 2008)
http://de.wikipedia.org/wiki/Enkopresis (Abgerufen 03. Februar 2008)
http://www.pflegewiki.de/wiki/Enkopresis (Abgerufen 03. Februar 2008)
Eine
wirklich gute und aufschlussreiche Zusammenfassung. Eine so gute Erklärung sonst kaum zufinden.Herzliche Dank!